-
Fehlende Priorisierung und Zuständigkeit
Der eCommerce-Markt bewegst sich schnell. Daher gibt es für die Verantwortlichen fast immer eiligere, geschäftskritische Aufgaben, um das Tagesgeschäft am Laufen zu halten. Besonders durch die gestiegene Nachfrage in den Pandemie-Jahren sind viele Mittelständler bereits an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen. Auf den ersten Blick hat es daher eine weit weniger hohe Priorität, wie effektiv oder profitabel die unvermeidlichen Rücksendungen abgewickelt werden.
Bei Großunternehmen gibt es meist einen “Reverse Logistics Manager”. Mittelständische Anbieter hingegen haben oft keinen dedizierten Verantwortlichen für die Prozesse rund um das Retourenmanagement. Daher fehlt häufig die strategische Einbindung dieses Bereichs in die übergreifende Geschäftsstrategie. Das betrifft Investitionen in neue Systeme oder strategische Partnerschaften genauso, wie Portfolio-Erweiterungen oder andere Geschäftsentscheidungen. Wenn zum Beispiel das Produktsortiment erweitert wird, berücksichtigen die Verantwortlichen dabei selten, wie sich dies auf das Retourenmanagement auswirkt.
-
Komplexe Prozesse und mangelnde Ressourcen
Sicherzustellen, dass Kunden Produkte bequem zurücksenden können, ist nur der erste Schritt im Retourenmanagement. Nach der Annahme der Rücksendungen folgt das sogenannte „Grading“. Darunter fällt die Prüfung, Evaluierung und Aufarbeitung von zurückgegebenen Produkten. Dies ist eine arbeitsintensive und zeitaufwändige Aufgabe. Es müssen einerseits die verschiedenen Retouren-Kategorien, von „neuwertig“ bis „stark beschädigt“, berücksichtigt werden. Andererseits erfordern Produkte wie Kaffeemaschinen, Smoothie-Mixer, Möbel oder Sportgeräte völlig andere Bearbeitungsprozesse als Produkte mit personenbezogenen Informationen, wie Laptops und Fernsehgeräte. Je diverser das Warenportfolio, desto mehr Testverfahren und Fachkräfte sind erforderlich. Fehler bei der Bewertung und Aufbereitung führen zu sofortigen Gewinneinbußen.
Jedes “Grading” sollte zumindest eine Funktionsprüfung und -beschreibung sowie die Reinigung der retournierten Produkte, die Anfertigung detaillierter Fotos und die sichere Entfernung personenbezogener Daten umfassen. Im Anschluss müssen sich die Unternehmen um die Rücksendungen kümmern, die wieder verkauft werden sollen. Die Abwicklung der notwendigen Schritte zur Auflistung der Produkte und die Bekanntmachung aller erforderlichen Informationen in den verschiedenen Vertriebskanälen – Marktplätze, Auktionsplattformen und/oder eigener Websitebereich für B-Ware – erfordern ebenfalls Personalressourcen und verursachen Kosten.
Mittelständische Unternehmen verfügen häufig nicht über die Ressourcen und technischen Einrichtungen, um alle Retourenmanagement-Prozesse intern abzuwickeln. Softwarelösungen können die Abwicklung unterstützen, die Implementierung ist jedoch nicht für jeden Anwendungsfall rentabel. Spätestens bei überquellenden Warenlagern sind viele Händler so mit der Retouren-Thematik überfordert, dass sie sich dafür entscheiden, die Warenliquidierung über Großabnehmer abzuwickeln. Das ist allerdings die am wenigsten rentable und nachhaltige Art, Retouren zu verkaufen. Je nach Warengruppe erzielen die Produkte dabei oft nicht einmal 10 Prozent des eigentlichen Warenwerts und einige Retouren werden sogar vernichtet.
-
Unterschätzte Profitbremse
Allein im deutschen Onlinehandel machen die Kosten für Retouren jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag aus und hohe Verluste durch Retouren können die Bilanz empfindlich belasten. Aufgrund der fehlenden Priorisierung, Zuständigkeit und strategischen Einbindung, fehlt in vielen Unternehmen jedoch bereits die grundlegende Transparenz über alle Kosten, die mit den Retourenprozessen verbunden sind. Zusätzlich gibt es weitere Faktoren, die zu verlorenem Potenzial und entgangenen Gewinnen führen können – etwa, wenn die Rücksendungen nicht rechtzeitig wiederverkauft werden oder die Entscheidungen über den Vertriebskanal und die Preisgestaltung nicht klug getroffen werden.
Diese Betrachtung zeigt: Ein effizienteres und nachhaltigeres Retourenmanagement bietet viele Ansatzpunkte, um Kosten zu senken und die Profite zu erhöhen. Außerdem bietet ein nachhaltigerer Umgang mit Retouren und deren Rückführung in den Konsumkreislauf einen guten Ansatz für die Positionierung, die Differenzierung des Wettbewerbes und das Gewinnen neuer Kundengruppen.